Geld verdienen auch ohne Arbeit! Prof. Götz Werner fordert das bedingungslose Grundeinkommen für alle.

Die Idee klingt ehrlich gesagt ziemlich verrückt, doch das dahinter steckende Konzept ist es durchaus wert, einmal gründlich darüber nachzudenken. Prof. Götz Werner, Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm, erklärt, warum es Sinn macht, jedem Staatsbürger Geld zu zahlen, egal ob er arbeitet oder nicht. Dieses Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens hat in Deutschland mittlerweile viele Anhänger und das nicht nur in den einkommensschwachen Bevölkerungsschichten. Was genau hinter dem Konzept steckt, erklärt Prof. Werner in seinem bereits zweiten Interview bei Venture TV. (Im ersten Interview hier berichtet Götz Werner vor allem über die Gründung von dm.)

Und hier ist das Video in Textform:

Venture TV: Herzlich willkommen, Götz Werner! Herr Werner, wir haben ungefähr vor einem Jahr schon ein Interview gemacht. Da ging es um Sie, Ihre Gründung von dm und Ihren persönlichen Hintergrund. Ein Thema, was wir da ausgelassen haben, war das Grundeinkommen, das bedingungslose Grundeinkommen. Und das ist ja ein Thema, was Ihnen sehr am Herzen liegt. Deswegen hat das auch ein eigenes Video verdient. Erklären Sie doch erst mal den Leuten, die noch nicht wissen, worum es geht, was sich überhaupt hinter diesem Begriff verbirgt.

Prof. Götz Werner: Ich sage es vielleicht erst mal aus meinen persönlichen Hintergrund. Die Grundeinkommensidee ist eigentlich sozusagen das Weiterdenken der unternehmerischen Idee. Und wenn man die unternehmerische Idee auf die volkswirtschaftliche Dimension überträgt, dann wird einem auch sehr schnell klar, dass wir heute in einer Konsumgesellschaft leben, wo die Einen produzieren und die Anderen konsumieren und wo der Mensch immer in zwei verschiedenen Aggregatzuständen ist: Entweder muss er konsumieren, konsumieren muss er, damit er seinen Körper regenerieren kann.

Venture TV: Ja.

Prof. Götz Werner: Und produzieren tut er, weil er tätig werden will, weil er über sich hinauswachsen will. Und in der heutigen Zeit kann man nur für Andere tätig sein.

Venture TV: Ja.

Prof. Götz Werner: Also niemand ist mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. Das ist das Neue, das ist eigentlich erst seit 200 Jahren so. Tausende von Jahren waren die Menschen Selbstversorger. Jetzt sind die Menschen Fremdversorgte und Fremdversorger. Und wir haben eine reale wirtschaftliche Situation, die um den ganzen Erdball herumgeht: arbeitsteilige Zusammenarbeitsverhältnisse.

Venture TV: Das heißt auch, China produziert jetzt für Deutschland und Deutschland produziert für China, genau.

Prof. Götz Werner: Also gerade am deutschen Beispiel können Sie sehen, wie unser Konsum, angefangen von Ihrem Anzug, alles importiert ist und wenn Sie wohin kommen, überall unsere Produkte sehen auf der ganzen Welt. Und das ist Globalisierung. Globalisierung ist keine Ideologie, sondern ist eine Tatsache. Und was auch eine Tatsache ist: Eben, dass man im Gegensatz zu früher, wo man auf seinem eigenen Stück Grund und Boden den Acker bewirtschaftet hat mit seiner Familie, gegen die Unbillen der Natur, und dann von der Ernte gelebt hat und wenn was übrig blieb, hat man es zum Markt gebracht, sodass wir heute nie mehr was für uns tun, sondern immer für Andere. Deswegen haben wir auch heute nicht mehr den Mangel, sondern den Überschuss. Dadurch, dass wir die ganze Welt immer versorgen wollen, sagt zum Beispiel die Automobilindustrie: Wir könnten 15 Millionen Autos herstellen, für die es keine Käufer gibt.

Venture TV: Ganz genau, ja.

Prof. Götz Werner: Und das sehen Sie in der ganzen Wirtschaft. Aber die Einsicht kommt dann, wenn Sie sich klarmachen, dass ich früher, um leben zu können, ein Stück Grund und Boden brauchte.

Venture TV: Ja.

Prof. Götz Werner: Und deswegen hat man damals gesagt „der freie Mann auf freier Scholle“.

Venture TV: Okay, ja.

Prof. Götz Werner: Und das kann man jetzt übertragen auf die heutigen Verhältnisse. Wenn Sie heute leben wollen, können Sie mit einem Stück Grund und Boden nichts anfangen. Sie können jetzt sagen, also wer arbeitslos ist, kriegt einen Hektar Land. Damals haben das die Menschen so gesagt.

Venture TV: Ja okay.

Prof. Götz Werner: Die ganzen römischen Siedlungen zum Beispiel hier in unseren Breiten – wir leben ja hier jenseits des Lebens – das waren im Prinzip Ansiedlungen von Menschen aus dem Römischen Reich, die als Beamte, als Soldaten, als Offiziere ihre Pension hatten. Als Pension haben die sozusagen ein Stück Grund und Boden bekommen.

Venture TV: Das heißt, die Idee ist nicht neu.

Prof. Götz Werner: Nein, man muss nur den Zusammenhang übertragen, die Analogie. Um heute leben zu können, brauche ich ein Einkommen. Und da wird dann das deutlich: Also, die damals hier ihren Grund und Boden bekommen haben und sich angesiedelt haben, die haben eine Teilhabe bekommen am Stück Land und konnten dann leben. Und wenn Sie ein Einkommen bekommen, dann haben Sie eine Teilhabe, um teilnehmen zu können. Also der dramatische, folgenreiche Denkirrtum, den wir haben ist, dass wir meinen, wir würden für unsere Arbeit bezahlt.

Venture TV: Ja.

Prof. Götz Werner: Das ist ein Irrtum. Unsere Arbeit ist unbezahlbar. Was bezahlt wird, ist, damit wir leben können.

Venture TV: Okay.

Prof. Götz Werner: Auch dass Sie jetzt zum Beispiel mich interviewen können, geht nur, weil Sie ein Einkommen haben. Wenn Sie kein Einkommen hätten, könnten Sie mich gar nicht interviewen. Das Interview, was wir führen, ist unbezahlbar. Wer soll das bezahlen?

Venture TV: Natürlich.

Prof. Götz Werner: Na logisch. Und wenn man das umdenkt und sagt, mit dem Einkommen wird die Arbeit ermöglicht, dann ist der Schritt nicht mehr weit zu sagen: Na ja, dann braucht natürlich jeder Mensch ein Einkommen.

Venture TV: Genau.

Prof. Götz Werner: Und das ist auch genau das, was unsere Verfassung sagt – Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Also ich muss Verhältnisse schaffen, dass die Würde des Einzelnen unantastbar wird. Und das geht nur, wenn er ein Einkommen hat. Also, damit der Artikel 1 unseres Grundgesetzes Wirklichkeit werden kann, ist ein Einkommen Voraussetzung.

Venture TV: Ja, das sind ja deutliche und wirklich recht extreme Worte auch.

Prof. Götz Werner: Ja, aber es ist eine Realität, sonst sind Sie antastbar. Dann ist Ihre Würde nicht mehr unantastbar.

Venture TV: Okay.

Prof. Götz Werner: Dann fallen Sie zum Beispiel unter die Hartz-IV-Regelung. Dann haben Sie keine freie Wohnungswahl mehr, keine freie Arbeitsplatzwahl und, und, und. Also deswegen sage ich immer: Hartz IV ist offener Strafvollzug. Sie verlieren einen Teil Ihrer Grundrechte.

Venture TV: Was sind so die häufigsten Gegenargumente gegen das bedingungslose Grundeinkommen? Das ist ja eine Idee, die schon polarisiert und da gibt es ja auch immer viele Gegensprecher. Was ist das Argument, was Ihnen da am häufigsten entgegenschlägt? Man muss ja nichts mehr tun oder so fürs Geld und dann tut keiner mehr was und alles geht unter.

Prof. Götz Werner: Alle möglichen Vorurteile. Aber das Grundproblem ist, dass wirklich die meisten Menschen, das ist eine bedauerliche Situation, die leben so in ihren Vorstellungen. Die verbarrikadieren sich hinter ihren Vorstellungen oder leben in ihrem Vorstellungsgefängnis, in ihrem Erfahrungsgefängnis.

Venture TV: Gar nicht darüber nachdenken, dass vielleicht andere Gedankenkonstrukte auch richtig sein können.

Prof. Götz Werner: Genau, die stellen das nicht infrage. Und dadurch, dass sie das nicht infrage stellen, können sie sich auf so eine Idee nicht einlassen. Und dadurch, dass ich meine, ich wüsste schon alles, tue ich nicht mehr wahrnehmen. Also es gibt ja leider viele Menschen, die leben nach dem Motto: „Was nicht sein darf, das nicht sein kann.“

Venture TV: Ja, wohl wahr.

Prof. Götz Werner: Die leben sozusagen in Paradigmen. Also akademisch ausgedrückt sind das die Paradigmen. Und die Paradigmen verhindern, dass wir die Wirklichkeit erkennen. Und wenn wir die Wirklichkeit erkennen würden, dann würden wir sagen: Na ja, unser Sozialstaat, der vor 130 Jahren eine tolle Erfindung war – allergrößten Respekt, der Bismarcksche Sozialstaat – der ist aber 130 Jahre alt. Und in 130 Jahren hat sich dramatisch viel verändert. Die Grundlagen des Sozialstaates damals waren ja: 50 Jahre Lebenserwartung, kontinuierliche Berufsbiografie, intakte Familienverhältnisse – also konsistente, nicht intakte, konsistente. Heute haben wir etwas ganz Anderes. Heute haben wir eine Lebenserwartung von 85, steigende Tendenz, Gott sei Dank. Gott sei Dank, sonst wäre ich ja gar nicht hier. Wir haben aber keine stabilen Berufsbiografien mehr, sondern brüchige, instabile Berufsbilder. Man muss immer was Neues machen. Wir arbeiten immer mehr in Projekten, wir arbeiten immer mehr nur phasenweise.

Venture TV: Definitiv, ja.

Prof. Götz Werner: Freelancer, gerade in der Medienbranche, wo Sie ja auch tätig sind, offensichtlich. Und das Dritte ist, wir haben auch keine konsistenten Familienverhältnisse mehr, sondern eigentlich haben wir die Patchworkfamiliensituation. Alles Dinge, die unseren Sozialstaat infrage stellen. Und ich bekomme dann so Argumente, auch von Akademikern, die dann sagen: Ja, Ihre Idee finden wir gut, aber das würde unseren Sozialstaat – wörtlich – aus den Angeln heben.

Venture TV: Genau, das ist wohl das häufigste Gegenargument.

Prof. Götz Werner: Und dann kommt das Zweite, das ist auch ganz wichtig, das ist ein Kulturproblem. Und das können Sie wirklich beobachten, jeder Einzelne kann das beobachten. Die meisten Menschen haben zwei Menschenbilder: Eins von sich, das ist das edle, das humanistische, und das vom anderen Menschen. Das ist eigentlich das Menschenbild, dem muss man seine Hammelbeine gerade ziehen.

Venture TV: Okay. Das heißt, man unterstellt allen Anderen bewusst: Sie wollen nicht arbeiten und sie würden sich sowieso nur auf die faule Haut legen.

Prof. Götz Werner: Genau. Mir ist schon tausend Mal diese Frage gestellt worden, dass dann die Menschen nicht mehr arbeiten.

Venture TV: Genau.

Prof. Götz Werner: Aber wenn ich dann frage: Und Sie? – Ja, ich weiß doch, ich bin doch wer. Und das ist interessant, das ist ein Kulturproblem. Und das hat was mit Gleichheit zu tun. Unser Grundeinkommen hat was mit Freiheit zu tun, ich brauche den Freiraum. Aber es hat auch was mit Gleichheit zu tun. Und ich sage immer: Wieso unterstellen Sie Ihrem Mitbürger etwas, was Sie sich selbst nicht unterstellen? Da gibt es ja dutzende von soziologischen, empirischen Untersuchungen, wo genau das immer gesagt wird: Man selbst – aber der Andere. Und das ist ein kulturelles Problem. Deswegen brauchen wir für dieses Thema den gesellschaftlichen Diskurs. Wir müssen diese Sache hinterleuchten.

Venture TV: Wozu würde es denn führen, wenn jeder ein Grundeinkommen hätte? Inwiefern sähe die Gesellschaft dann besser aus? Wir könnten uns mehr verwirklichen oder wozu würde es führen? Was wären so die großen Effekte, zu denen es führen würde?

Prof. Götz Werner: Zum Beispiel wäre die Würde des Einzelnen unantastbar. Weil er sagen kann: Wenn ich in der Lage bin, wenn ich ein Grundeinkommen habe, verfassungsrechtlich gesichert, was mir erlaubt, zwar bescheiden, aber menschenwürdig zu leben, dann bin ich unantastbar. Da kann mich mein Arbeitgeber nicht bedrohen, da kann mich mein Mann nicht bedrohen, da kann mich meine Frau nicht bedrohen, da kann mich meine Schwiegermutter nicht bedrohen, dann kann mich niemand bedrohen.

Venture TV: Das heißt, mehr Frieden für das eigene Leben und seine Interessen auch auszuleben, oder?

Prof. Götz Werner: Ich sage es mal mit Jean-Jacques Rousseau. Der sagte mal: „Freiheit ist nicht, tun und lassen zu können, was man will, sondern nicht tun zu müssen, was man soll.“

Venture TV: Ja okay.

Prof. Götz Werner: Unser gesellschaftliches Klima würde sich wandeln vom Sollen zum Wollen. Und stellen Sie sich mal vor, Sie haben es nur noch mit Menschen zu tun, wo Sie sagen könnten: Ja, aber der will es ja so. Der könnte es ja anders machen, aber offensichtlich will er es so. Stellen Sie sich das mal vor. Egal, wo Sie laufen, ob das auf der Kaiserstraße ist in Frankfurt oder hier im Park, könnten Sie immer sagen: Ah ja, der will das so.

Venture TV: Alle machen das gerne, was sie machen.

Prof. Götz Werner: Ja, der müsste es gern machen. Das wäre ja eine dramatische Gesellschaftsveränderung. Ich glaube, das kann man sich gar nicht ausmalen.

Venture TV: Und wer mehr will, kann eben dann auch was dafür tun, dass er mehr bekommt, mehr damit zufrieden ist.

Prof. Götz Werner: Grundeinkommen heißt: Wir geben dir eine Teilhabe, jetzt zeig mal, was du kannst.

Venture TV: Ja, alles klar. Und alles, was dann on top kommen soll, das muss man sich dann auch wieder selber erarbeiten.

Prof. Götz Werner: Man kann nach Herzenslust dazu verdienen und das werden die Menschen auch tun. Weil ich habe noch nie einen – und ich habe viel Erfahrung, glauben Sie mir, mit Menschen gesammelt in meinem Leben – noch nie einen erlebt, der, wenn er 1000 Mark oder Euro hat, dass er dann nicht mehr haben will.

Venture TV: Ja okay.

Prof. Götz Werner: Weil dieses „altius, citius, fortius“, dieses „schneller, weiter, höher“, steckt in jedem Menschen. Oft zwar verborgen, aber das macht sich frei. Das schaufelt sich dann frei, wenn wir diesen gesellschaftlichen Klimawandel haben. In dem Fall ist nämlich der Klimawandel sehr begrüßenswert.

Venture TV: Das heißt, ein besseres und kreativeres und wahrscheinlich sogar produktiveres Gesamtklima als heutzutage?

Prof. Götz Werner: Ja, wir haben endlich Verhältnisse, wo die Menschen sozusagen ihre schöpferischen Fähigkeiten einbringen können. Weil immer dann, wenn sich die Menschen bedroht fühlen, und das ist ja heute der Fall, dann handeln sie unterhalb ihrer kreativen Möglichkeiten. Sind einfach nur Tatsachen.

Venture TV: Ja, besten Dank für die sehr anschauliche und gute Erklärung.

Prof. Götz Werner: Jetzt können wir was draus machen, oder?

Venture TV: Ganz genau, ganz genau.

Prof. Götz Werner: Mir kommt es immer drauf an, dass möglichst viele Menschen sich das zu ihrer persönlichen Forschungsaufgabe machen.

Venture TV: Und sich das vielleicht einmal angucken, ob es denn vielleicht nicht doch funktionieren würde.

Prof. Götz Werner: Außerdem mal sich dieser Idee erlebend gegenüberstellen. Also nur Leute, die es gut finden, ist zu wenig. Sondern besser Menschen, die, sage ich mal, eine skeptische Haltung haben, aber der Sache nachgehen.

Venture TV: Überhaupt sich mal Gedanken zum ganzen Thema machen.

Prof. Götz Werner: Zu einer eigenen Erkenntnis kommen.

Venture TV: Auch, wenn sie negativ sein sollte. Ja, aber dann gibt es einen Diskurs.

Prof. Götz Werner: Wenn die Idee gut ist – wie hat der Victor Hugo gesagt: „Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Und die Idee ist eine ganz alte.

Venture TV: Ja. Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg im Kampf!

Prof. Götz Werner: Ja, Ihnen auch.

Venture TV: Danke, danke.

Aktuell

Diese Strategie macht Teams nachweislich erfolgreicher. Ein Interview mit Keith Ferrazzi.

Der Autor von Geh niemals alleine essen / Never eat alone, Keith Ferrazzi im Interview bei Venture TV. In seinem Buch Competing in the New World of Work erklärt er, wie man erfolgreich Teams führt.
WerbungBuch Cover 24 Stunden Startup